Salman - ich habe Hoffnung
- willkommendahoam
- 9. Dez. 2015
- 3 Min. Lesezeit
Eines Tages sahen Salmans Eltern keine Zukunft mehr in Eritrea. Sie beschlossen, ihr Glück in Saudi-Arabien zu versuchen. Ihre Kinder mussten sie in Eritrea zurücklassen. Salman war damals zwei Jahre alt, seine Schwester Laila sechs. Vier Jahre lang lebten die Geschwister bei Bekannten und Verwandten im Dorf. Als Salman sechs und Laila zehn Jahre alt war, zogen sie zurück in das Haus der Eltern. Alleine. Von diesem Tag an waren sie auf sich gestellt. Die Schwester versuchte den kleinen Bruder in der Schule anzumelden. Doch zur Schulanmeldung wären die Eltern nötig gewesen. Obwohl im Dorf bekannt war, dass Laila und Salman ohne Eltern aufwuchsen, wurde in dieser Hinsicht keine Ausnahme gemacht. Salman und seine Schwester konnten nie eine Schule besuchen.
Wenn man Salman fragt, was er in Eritrea gemacht hat, antwortet er immer mit einem Grinsen: „Spazieren gehen, Fußball spielen und schlafen“. Doch diese lapidar ausgesprochenen Worte, sind in Wahrheit die bittere Realität. Allein gelassen und ohne Unterstützung gab es für Salman nie eine Alternative.
Laila heiratete früh und zog zu ihrem Mann. Salman blieb alleine im Elternhaus zurück. Er war damals 13 oder 14 Jahre alt. Während alle anderen Kinder im Unterricht saßen, streifte Salman Tag für Tag ziellos durch das Dorf und wartete, dass seine Freunde aus der Schule kamen. Nachmittags hockte er neben ihnen und schaute ihnen bei den Hausaufgaben zu. Brachte sich so selbst das Lesen und Schreiben bei. Manchmal schrieb er Liedtexte und sang diese im Dorf vor. Irgendwann entschloss er sich zu gehen.
Auf der Flucht passierten furchtbare Dinge. Darüber sprechen möchte Salman nicht. Manchmal sagt er, dass sein Leben in dieser Zeit weniger Wert war, als das Leben jedes Insekts, das ihnen in den schlaflosen Nächten in den Gefängnissen plagte. „Sie haben vergessen, dass ich ein Mensch bin“.
Jetzt ist Salman hier. Seit einem Jahr nun. Anfangs war er völlig hilflos in einer komplett fremden Welt. Als er sich nach Wochen bei der Kleiderausgabe endlich etwas zum Anziehen aussuchen durfte, kam er mit Hosen die ihm zu groß und T-Shirts die ihm zu klein waren zurück. Und Schuhen in Größe 44 statt 40. Er wusste nicht, dass es Kleidergrößen gibt; das man anprobieren kann.
Salman ist der Komiker in der Gruppe der Buben. Meist schwebt er verträumt und scheinbar planlos durch die Container. Doch seine treffenden Kommentare versetzen die Jungen jedes Mal in schallendes Gelächter. Wenn es einem anderen nicht gut geht, oder die Stimmung im Raum gedrückt ist, spürt Salman das sofort. Und schafft es immer, die Buben oder mich wieder zum Lächeln zu bringen. Deutsch spricht Salman auch nach einem Jahr noch kaum, obwohl er schlau ist. Er hat nie gelernt zu lernen.
Dass Salman in der Schule nicht mitkommt, nimmt er so hin – wie er eigentlich alles hinnimmt was mit ihm passiert. Er fragt nach nichts, bittet um nichts, hat keine Wünsche. Es ist, als ob er nicht weiß, dass auch er etwas wert ist. Er möchte, dass es den anderen Jungen gut geht. An sich selber denkt er nicht.
Ein Jahr lang hatte Salman nur zwei Unterhosen und zwei Paar Socken. Das habe ich kürzlich durch Zufall festgestellt. Auch passende Kleidung hatte er kaum. Auf die Idee, darum zu bitten, ist er nicht gekommen, obwohl ich das eigentlich allen Jungs wiederholt klar gemacht habe. Wenn sie etwas brauchen, sollen sie es sagen. Wir finden schon einen Weg. Vor ein paar Tagen habe ich Salman ein Nikolauspäckchen gegeben. Er hielt es in der Hand und wusste nicht, was er damit anfangen soll, wusste nicht, dass man es auspacken kann. Er hat noch nie ein Geschenk bekommen.
Auf die Frage eines Arztes, wie es ihm geht, antwortete der meistens lächelnde Salman: Es geht mir nicht gut. Ich vermisse mein Land sehr, obwohl ich dort niemanden mehr habe. Ich kann nicht vergessen, was auf der Flucht passiert ist. Oft habe ich große Angst oder bin sehr traurig. Mein Kopf weiß, dass ich jetzt in Sicherheit bin und das Leben hier gut werden kann – aber mein Herz will ihm nicht glauben. „Hast Du darüber nachgedacht nicht mehr leben zu wollen?“, fragte ihn der Arzt. „Das ich auf der Flucht nicht gestorben bin, war ein glücklicher Zufall“ antwortete Salman. „Ich weiß, dass das Schlimmste vorbei ist, dass ich jetzt die Chance auf ein Leben habe. Nur mein Herz muss das noch glauben. Ich darf zur Schule gehen. Ich habe Hoffnung.“


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