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Aron

  • willkommendahoam
  • 13. Nov. 2017
  • 4 Min. Lesezeit

Aron habe ich vor ein paar Monaten kennengelernt. Ein dürrer Junge mit blassem Gesicht und müdem Blick. Aron ist seit einem knappen Jahr in Deutschland. Als er ankam, war er minderjährig, das schützte ihn vor einer Abschiebung. Doch kaum war er 18 geworden, bekam er einen ablehnenden Bescheid und die Aufforderung zur Ausreise. Das ist rechtlich korrekt, denn Aron musste seine Fingerabdrücke abgeben, als er in Italien ankam. Und aufgrund des Dublin-Abkommens ist das erste Land, in dem ein Flüchtling in Europa registriert wird, für dessen Asylantrag zuständig.

Aron soll also zurück nach Italien.

Was rechtlich korrekt sein mag, ist menschlich eine Katastrophe. Denn wieder einmal wird Aron jeglichen Halt verlieren. Wie damals, als man ihn zwang Soldat zu werden. Da verlor er seine Kindheit, seine Familie, sein Dorf, die Nachmittage auf dem Fußballplatz mit seinen Freunden. Fünf Jahre war er Soldat. Als es ihm gelang zu fliehen, verlor er seine Heimat, seine Kultur, seine Freunde und seine Familie ein zweites Mal.

Wenn man flieht, vor allem wenn man alleine flieht, verliert man alles, was einem zu dem gemacht hat, der man ist. Die Heimat gibt einen Rahmen, in dem man sich mühelos zurecht findet, weil einem alles so bekannt ist, dass man nicht darüber nachdenken muss. Man versteht die Sprache, ohne sich anstrengen zu müssen, man weiß wie man von A nach B kommt, vom eigenen Haus zur Schule und vom eigenen Dorf zur Hauptstadt. Weiß man es nicht, fragt man nach, denn man wird von jedem verstanden. In der Heimat weiß man, wo es etwas zu essen gibt und wie es schmeckt. Man weiß was man mag und was nicht. In der Heimat hat man jemanden, an den man sich wenden kann, wenn man einsam ist, reden möchte oder Hilfe braucht. In der Heimat gibt es Menschen, die sich Gedanken um einen machen, die einen lieben, die einen umarmen. In der Heimat weiß man, wer man ist.

Wenn man flieht, ist nichts mehr selbstverständlich. Man möchte etwas sagen, aber da ist keiner der einen versteht. Man hat Hunger, aber weiß nicht, woher man etwas zu essen bekommt. Man braucht Hilfe, aber es gibt niemanden an den man sich wenden könnte. Man ist so unendlich alleine und niemand ist da, der einen umarmt.

Aron wirkt, als habe er auf der Flucht sich selbst verloren. Wie viele der anderen Jungs anfangs auch, hat er wenig Bezug zu seinem Körper. Ein Körper den er vergessen musste, als er in der Sahara mit aller Kraft nach Wasser schrie, es aber kein Wasser gab. Einen Körper den er vergessen musste, um die Schmerzen auszuhalten, wenn ihn die Aufseher in dem libyschen Internierungslager wieder und wieder schlugen. Einen Körper den er vergessen musste, als er zusammengepfercht zwischen hunderter anderer Leiber im dunklen Boden eines Bootes saß, in einem Gemisch aus Wasser, Benzin, Urin und Erbrochenem. Ein Körper, der ständig Hunger hatte, und kaum etwas zu essen bekam.

Aron isst viel zu wenig. Er merkt nicht mehr, wann er hungrig ist – und wenn er etwas essen möchte, bekommt er es oft nicht runter, weil es ihm buchstäblich die Kehle zuschnürt. Seit Wochen ist Aron krank, hat starken Husten, doch er kümmert sich kaum darum. Sein ausgemergelter Körper schafft es nicht, die Erkältung zu bekämpfen. Und Aron geht bei Kälte und Regen ohne Jacke vor die Türe, weil er zum einen kaum Kleidung besitzt und es ihm zum anderen egal ist, wenn er friert.

Einige der anderen Jungs gingen in der ersten Zeit in Deutschland ähnlich ignorant mit den Bedürfnissen ihrer Körper um. Ein junger Syrer, der 1,5 Jahre in einem Foltergefängnis von Assad überlebt hatte, blieb in der Erstaufnahmeeinrichtung oftmals drei, vier Nächte völlig ohne Schlaf. Darauf angesprochen, dass er sich schadet und unbedingt schlafen muss, erwiderte er: Schlaf ist etwas für Menschen die einen Körper haben, ich habe keinen Körper mehr.

Bei den Jungs hat es geholfen, ein paar passende und altersgerechte Kleidungsstücke zu besorgen, die sie gerne anzogen und in denen sie sich wohl fühlten. In den oftmals unpassenden, zu großen, verschlissenen Kleidern der ersten Tage, war es schwierig für sie, sich und ihren Körper wieder positiv wahrzunehmen. Passende Kleidung und Dinge in denen sie sich „cool“ oder schön empfanden, halfen ihnen dabei, wieder ein Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Bedürfnissen zu entwickeln.

Bei Aron ist dies derzeit nicht möglich, da er kaum etwas hat, dass ihm wirklich passt. Sein dünner Körper versinkt in den Klamotten und er wird nicht gesund, weil er weder eine Winterjacke noch Winterschuhe oder warme Pullover besitzt.

Letztens haben wir Aron mit auf ein Volksfest genommen. Mit offenem Mund stand er vor den Fahrgeschäften und konnte nicht glauben, dass Menschen sich freiwillig in diese Maschinen setzen. Selbst beim Kettenkarussell schüttelte er ungläubig den Kopf. Dafür war an der Schießbude jeder Schuss ein Treffer. Aron, der ehemalige Soldat. Am meisten interessierte er sich an diesem Abend für die Kuscheltiere in den Schieß- und Wurfständen. Während andere 18jährige sich betranken und kopfüber in den Fahrgeschäften wirbelten, träumte Aron von einem eigenen Stofftier. Als ich bemerkte, dass ein sehnsüchtig beäugter Plüschhund ganz schön groß sei, antwortete Aron: Ich weiß, aber er könnte mein Freund sein, denn ich bin ganz alleine hier.

Ein Anwalt kämpft momentan darum, Aron in Deutschland zu behalten. Die Chancen stehen schlecht Dann würde Aron zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre jeglichen Halt verlieren. Wieviel kann ein Mensch aushalten?

 
 
 

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